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Der Krieger und die Katze

Die Rolle der Katze in der Gesellschaft der Wikingerzeit ist bislang kaum untersucht. Die zunehmende Anzahl archäologischer Funde von Katzenknochen deutet jedoch auf ein Bild der Katze als hoch geschätztes Haustier hin, das mitunter sogar Krieger in das Jenseits begleiten sollte. Mehr darüber erfahren Sie im Interview mit unserem Museumsleiter Dr. Matthias Toplak.

Herr Toplak, das ist zunächst ein etwas ungewohnter Gedanke – ein Wikinger, ein Krieger, und seine Hauskatze. Seit wann gibt es Hauskatzen in Europa?
Seit dem Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit, zunächst im Mittelmeerraum. Entgegen der populären Vorstellung hatten diese Tiere jedoch nur wenig mit den europäischen Wildkatzen gemein, sondern ähnelten mit ihrer getigerten Fellzeichnung am ehesten zierlichen Exemplaren der heutigen Katzenrasse Europäisch Kurzhaar.

Und seit wann gab es in Skandinavien Hauskatzen?
In Skandinavien treten die ersten Nachweise von Hauskatzen in der späten römischen Kaiserzeit ab dem 2./3. Jh. n. Chr. auf und spätestens ab dem 5./6. Jh. weisen Katzenknochen in Siedlungen sowie als Grabbeigaben in Bestattungen darauf hin, dass die Hauskatze im Norden heimisch geworden war. 

Wie genau haben wir uns die Rolle der Hauskatze in der Wikingerzeit vorzustellen? Zu Beginn der Forschung hat man ja nach Hinweisen in der nordischen Mythologie gesucht…
Ja, das stimmt. In der altnordischen Sagaliteratur und den mythologischen Quellen, die zwar erst ab dem 12./13. Jh. verfasst wurden, aber oftmals als Quellen für die Wikingerzeit gelesen werden, treten Katzen jedoch überraschend selten in Erscheinung. In einer Handvoll von Szenen nehmen dämonische Unholde die Gestalt von Katzen an, gegen welche die Protagonisten der Sagas zu kämpfen haben. 

Gibt es prägende Werke?
Ja, eines ist die Edda des berühmten isländischen Skalden Snorri Sturluson, demzufolge die Liebesgöttin Freya in einem von zwei Katzen gezogenen Wagen fährt. Eine zweite, oftmals angeführte Szene stammt aus einer Isländersaga, die von der Besiedlung Grönlands und der Entdeckung des nordamerikanischen Kontinents um das Jahr 1000 herum berichtet. Darin wird eine Seherin beschrieben, deren Kleidung teilweise mit Katzenfell verbrämt ist. Da Katzenfell als Trachtelement an keiner weiteren Stelle in der Sagaliteratur erwähnt wird, gilt diese Passage als deutlicher Hinweis auf eine besondere Bedeutung von Katzen für wikingerzeitliche Magie und kultische Handlungen. 

Welche Schlussfolgerungen könnte man daraus ziehen?
Ausgehend von diesen wenigen Erwähnungen von Katzen in der altnordischen Literatur wird den Hauskatzen in der Wikingerzeit eine starke kultische oder religiöse Komponente zugeschrieben, die sie als Begleiter von (meist) weiblichen ‚ritual specialists‘ – Seherinnen, Priesterinnen oder Schamaninnen – mit der übernatürlichen Sphäre in Verbindung bringt.

Sie scheinen zurückhaltend, was die Aussage dieser Quellen betrifft…
Das stimmt. Betrachtet man dieses literarische Material mit der notwendigen Quellenkritik, stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit die frühestens im 13. Jh. und damit bereits in einem christlichen Milieu verfasste Literatur mit diesem Katzenbild tatsächlich heidnische Vorstellungen der Wikingerzeit widerspiegelt. Die Katzen in der altnordischen Sagaliteratur treten nicht als natürlicher Teil der häuslichen Tierwelt auf, sondern fast ausschließlich als übernatürliche Elemente, obwohl sie spätestens ab der frühen Wikingerzeit als Haustier weit verbreitet waren.

Zudem weisen die Assoziationen von Katzen mit (schwarzer) Magie und (weiblicher) Hexerei deutliche Parallelen zu christlichem mittelalterlichem Aberglauben auf, demzufolge Katzen ab dem frühen 13. Jh., spätestens jedoch mit den Prozessen gegen den Templerorden Anfang des 14. Jh., als Tiere des Teufels galten. 

Wie lautet Ihr Fazit mit Blick auf die Auswertung der Literatur?
Die in der altnordischen Sagaliteratur und Mythologie fassbare Rolle der Katzen als mit einer weiblichen Sphäre von Kult und Magie assoziierten Tiere scheint demnach deutlich von mittelalterlichen christlichen Sichtweisen bzw. von antiken Topoi beeinflusst zu sein und weniger wikingerzeitliche Vorstellungen widerzuspiegeln.

Wenn uns diese Quellen nicht weiterhelfen, um eine Idee von der Rolle der Katzen in der Wikingerzeit zu bekommen, was ist mit archäologischen Funden?
Die gibt es und sie sind inzwischen neu ausgewertet worden und bestätigen im Übrigen diese kritische Sichtweise auf die literarischen Quellen.

Und welche Erkenntnisse können wir daraus ziehen? Die Wikinger hielten sich Katzen doch sicherlich aus praktischen Gründen, oder?
In den meisten Siedlungen und frühen Städten lassen sich Populationen von halb-wild streunenden Katzen fassen. Deren noch weitestgehend unveränderten Gebisse deuten darauf hin, dass sie nicht mit Küchenabfällen gefüttert wurden, wie es später in den mittelalterlichen Städten nachweisbar ist, sondern sich artgerecht von Kleinnagern ernährten. Diese Verhaltensweise der frühen Katzenpopulationen, die als erfolgreiche Jäger die spätestens ab der frühen Wikingerzeit im Norden auftretenden Nahrungsmittelschädlinge wie Hausmaus und Hausratte dezimierten, kann sicherlich als ein Grund für die rasante Verbreitung und die enorme Popularität der Hauskatzen angenommen werden.

Die Katze als Jäger für Mäuse und Ratten. Wozu dienten Katzen noch?
Funde von Katzenknochen aus vielen frühen Städten der späteren Wikingerzeit wie bspw. Haithabu oder Sigtuna in Schweden zeigen, dass auch Katzenpelz als Besatz und Futter für warme Kleidung besonders geschätzt wurde. Viele Knochen – besonders die Schädel – weisen Schnittspuren auf, die charakteristisch für das sogenannte ‚Abpelzen‘, das Abziehen des Felles, sind. Der Großteil der Knochen mit Schnittspuren stammt von jungen Tieren im Alter von etwa 12 Monaten, die zu diesem Zeitpunkt bereits voll ausgewachsen sind, deren Fell aber noch nicht von Krankheiten, Parasiten oder Mangelernährung verunstaltet war. Zudem werden die meisten Katzen im Frühjahr geboren, so dass sie am Ende ihres ersten Lebensjahres das dichtere Winterfell tragen. Schnittspuren, die auf ein Entfleischen der Knochen hindeuten, lassen sich dagegen nur vereinzelt nachweisen. Katzenfleisch scheint demnach – ähnlich wie Hundefleisch – nur in Notsituationen verzehrt worden zu sein.

Und nicht zuletzt hat man Katzenknochen auch in Gräbern wiedergefunden…
Ja, richtig. Der Großteil der bisher bekannten Funde von Katzen aus der Wikingerzeit stammt aus Gräbern, in welche die Tiere als Grabbeigabe oder als Begleiter ins Jenseits gelegt wurden. Vereinzelte Bestattungen mit Katzen sind in Skandinavien bereits seit der römischen Eisenzeit bekannt, ab der Wikingerzeit werden Katzen eine üblichere Grabbeigabe. Bei einer genaueren Betrachtung dieser Gräber fällt auf, dass die meisten dieser Gräber mit Katzen die Bestattungen von Männern sind. Erst gegen Ende der Wikingerzeit lässt sich eine Verschiebung hin zu einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung fassen, zudem kommen Katzen auch zunehmend in Kindergräbern vor. 

Wurde quasi jedermann mit Katzen bestattet?
Das kann ich so nicht bestätigen. Die meisten Bestattungen mit Katzen sind überdurchschnittlich reich ausgestattet. Eindrucksvolle Beispiele dafür sind eine Reihe von sogenannten ‚Häuptlingsgräbern‘ in der schwedischen Provinz Uppland aus der frühen Wikingerzeit, in denen offensichtlich höchst einflussreiche Männer mit Waffen, reichen Beigaben und einer großen Anzahl von Tieren unterschiedlicher Spezies – Pferden, Hunden, Greifvögeln und mehrfach auch Katzen – beigesetzt worden waren. Ähnliches zeigt sich auch an dem berühmten Handelsplatz von Birka, nahe dem heutigen Stockholm in Schweden. 

Wie würden Sie das „Bild“ der Hauskatze in der Wikingerzeit zusammenfassen? Katzen waren in der Wikingerzeit nützliche Haustiere, die man als Schädlingsbekämpfer hielt und deren Fell verhandelt und für Kleidung verwendet wurde. Aber wie die Funde von Katzen in Gräbern zeigen, konnten sich auch die Wikinger nicht dem Charme der Stubentiger entziehen und bestatteten Frauen, Kinder aber auch gestandene Männer mit ihren Katzen als Wegbegleiter ins Jenseits.

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