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Was altnordische Sagas uns über die Wikingerzeit verraten

Kürzlich hat Museumsleiter Dr. Matthias Toplak in einem der rekonstruierten Häuser am flackernden Licht des Herdfeuers kurze Geschichten aus der altnordischen Sagaliteratur erzählt - und darüber berichtet, was diese uns über die Wikingerzeit verraten. Die Wikinger selbst hatten nämlich keine Schriftkultur, wie wir sie heute kennen.

Von Dr. Matthias Toplak
Die Wikinger haben keine Ereignisse, Mythen oder Legenden in Büchern niedergeschrieben, sondern diese fast ausschließlich mündlich überliefert. Nur in den zumeist sehr kurzen Runeninschriften auf den über 3.000 derzeit bekannten Runensteinen und Hunderten Runeninschriften auf anderen Gegenständen sind einige wenige Informationen gewissermaßen aus „erster Hand“ fassbar.

Dennoch können wir durch die altnordische Sagaliteratur, besonders durch die sogenannten „Isländersagas“, einen kleinen Einblick in den reichhaltigen Korpus von Anekdoten, Geschichten und Legenden der Wikingerzeit und sogar in die Mentalität der Wikinger selbst erhaschen. Die Sagas, die zumeist von Geschehnissen auf Island im 10. und 11. Jahrhundert handeln, wurden im 13. und 14. Jahrhundert auf Island niedergeschrieben. Sie sind keine historischen Berichte, sondern am ehesten vergleichbar mit heutigen historischen Romanen. Sie vermischen reale historische Ereignisse und Personen mit zeitgenössischen Motiven des 13./14. Jahrhunderts und literarischer Fiktion zu spannenden Geschichten. Trotz dieses zeitlichen Abstandes zwischen der Wikingerzeit und dem Zeitraum, in dem die Sagas niedergeschrieben wurden, spiegeln gerade die Schilderungen alltäglicher Ereignisse und des Verhaltens der Protagonisten noch oftmals eine wikingerzeitliche Mentalität.

Ein besonders schönes Beispiel dafür ist die kurze Erzählung von Audunn aus den Westfjorden (Auðunnar þáttr vestfirzka). Sie handelt von einem Isländer namens Audunn, der vermutlich in den Jahren zwischen 1047–1050 auf einer Fahrt nach Grönland seinen gesamten Besitz für den Kauf eines lebenden Eisbären ausgibt. Diesen Eisbären möchte er dem dänischen König Sven Estridsson (1020–1076 n. Chr.) zum Geschenk machen. Auf dem Weg nach Dänemark gelangt er an den Hof des norwegischen Königs Harald des Harten (1015–1066 n. Chr.), dem Erzfeind König Svens. Obgleich Audunn sich standhaft weigert, König Harald den Eisbären zu verkaufen, lässt Harald ihn unbehelligt nach Dänemark weiterziehen.

Am Hofe König Svens – möglicherweise tatsächlich in Haithabu oder Schleswig – wird Audunn aufgrund des wertvollen Geschenkes mit großen Ehren empfangen und mit reichlich Silber für eine Pilgerfahrt nach Rom belohnt. Nach einer gefahrvollen Reise kehrt Audunn an den dänischen Königshof zurück und König Sven überhäuft ihn erneut mit wertvollen Geschenken, darunter ist ein großer Goldring, den er nur abgeben solle, wenn er einem vornehmen Mann viel Gutes zu vergelten habe. Auf dem Heimweg nach Island gelangt Audunn auch wieder zu König Harald. Dieser empfängt ihn freundlich und lässt sich berichten, wie es Audunn bei König Sven ergangen sei. Audunn schildert ihm seine Erlebnisse und überreicht König Harald zum Abschluss den Goldring, den er von König Sven erhalten hatte. Denn Harald hatte ihn großzügig weiterziehen lassen, mitsamt dem Eisbären, den Audunn König Haralds Erzfeind Sven zum Geschenk machen wollte.

Das zentrale Motiv der Erzählung von Audunn aus den Westfjorden ist Großherzigkeit. Obgleich König Harald den für seinen Erzfeind König Sven bestimmten Eisbären für sich selber haben möchte, lässt er Audunn nach Dänemark weiterreisen. König Sven wiederum beschenkt Audunn großzügig und Audunn revanchiert sich seinerseits bei König Harald. Diese Erzählung wirft ein völlig anderes Licht auf die ansonsten als gewaltaffin dargestellte Gesellschaft der skandinavischen Wikingerzeit. Ein guter Herrscher – wie im konkreten Fall sowohl König Harald wie auch König Sven – nutzt seine Macht gegenüber Schwächeren nicht aus, sondern zeigt sich großherzig und freigiebig. So finden sich in der Dichtkunst der Wikingerzeit viele, auf den ersten Blick überraschende Umschreibungen für „Herrscher“ oder „König“ wie z. B. hoddglǫtuðr, „der Schatz-Zerstörer“ oder hringvarpaðar, „der Ring-Werfer“, die darauf anspielen, dass der ideale Herrscher sein Gefolge üppig beschenkt.

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