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„Retrotopia“ - die Wikingerzeit als Ort der Sehnsucht

Sie sind omnipräsent in unserem Leben – die Wikinger. Vermeintliche Abbilder kombiniert mit Werbebotschaften finden sich auf unzähligen Produkten, ob Duschgel, Bier oder oder oder. Und auch die Spiele- und Filmbranche liefert einen Publikumshit nach dem anderen. Ganz vorn dabei sind die Serien „Vikings“ und das Spin-Off „Vikings: Valhalla“ (Start der 2. Staffel am 12. Januar). Aber inwieweit spiegeln diese die Realität wieder? Und woher kommt eigentlich die Faszination für diese Zeit? Darüber haben wir mit Dr. Matthias Toplak gesprochen, dem Leiter unseres Wikinger Museums.

Dr. Toplak, Sie haben sich als Wissenschaftler auf die Wikingerzeit spezialisiert, teilen mit vielen Menschen die Faszination. Gilt das auch für die vielen Produkte, die auf diese Zeit referieren – insbesondere populäre Filme und Serien wie „Vikings: Valhalla“?
Nein, diese Serien sprechen mich gar nicht an. Ganz im Gegenteil. Dort werden Klischees bedient. Mich als Wissenschaftler interessieren Fakten. Trotzdem sehe ich all das nicht nur negativ. Durch das große Interesse für jene Zeit kommen die Menschen zu uns ins Museum, wo sie fundierte Informationen bekommen. Die Faszination für diese Zeit steigt dadurch bei den meisten nur. Und das freut mich.

Sie sagen, in Serien werden viele Klischees bedient, haben Sie da ein paar Beispiele?
Nehmen wir die Kleidung. Die Krieger werden dort mit Lederklamotten und Tätowierungen gezeigt. In Wirklichkeit trugen die Menschen eher Wollsachen, teilweise mit Pflanzen gefärbt. Über Kriegsbemalung und Tattoos gibt es seitens der Wissenschaft so gut wie gar keine Erkenntnisse. Die Menschen waren also nicht so wild und sexy, wie sie in den Serien dargestellt werden.

Und auch nicht alle Wikinger waren Krieger…
Richtig.

Dann sollten wir uns Haithabu nicht als Ort vorstellen, an dem ständig blutige Kämpfe stattgefunden haben?
Diese Frage lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Historisch belegt ist, dass Haithabu 1050 und auch 1066 zerstört worden ist. Es ist darüber hinaus mehrfach erobert worden. Hier haben also Schlachten stattgefunden. Das belegen auch Runensteine aus der Umgebung, die an zwei Krieger erinnern, die hier gefallen sind. Aber – und das ist die andere Seite der Wahrheit –  hier haben auch viele Menschen weitestgehend friedlich zusammengelebt. Haithabu war ein frühmittelalterlicher Schmelztiegel, in dem sich verschiedenste Kulturgruppen ausgetauscht, positiv beeinflusst und Handel getrieben haben.

Wie erklären Sie sich, dass viele von uns von der Wikingerzeit - über die wir offenbar gar nicht so viel wissen - so fasziniert sind?
Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, in denen Menschen dazu befragt worden sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wikingerzeit perfekt geeignet ist, die Sehnsüchte der modernen Welt auf eine ganz besondere und wohl einzigartige Weise zu reflektieren. Der Soziologe Zygmunt Bauman hat in diesem Zusammenhang den Begriff "Retrotopie" geprägt.

Was genau bedeutet „Retrotopie“?
Vereinfacht gesagt, dass wir die Vergangenheit idealisieren und uns alles, was wir damit in positivem Sinne verbinden, wieder für die Zukunft erhoffen. Das darf man sich jetzt nicht 1:1 vorstellen. Niemand will zurück ins Mittelalter. Es geht eher um Vorstellungen von einer romantisierten, authentischen Gesellschaft mit geordneten Strukturen, die Sicherheit und Halt geben - und gleichzeitig Möglichkeiten für Abenteuer, Wildheit und Selbstverwirklichung bieten.

Gleichzeitig lassen sich moderne Ideale und Wunschvorstellungen in die Wikingerzeit projizieren. Ein gutes Beispiel dafür sind die in allen populären Darstellungen auftretenden Kriegerinnen oder auch die bereits angesprochenen Tätowierungen. Obwohl es bislang für beides keinen sicheren archäologischen Beleg gibt, wird es als Selbstverständlichkeit, als common knowledge, betrachtet.

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