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  • So könnte die reiche Frau aus dem Kammergrab 5 von Haithabu zu Lebzeiten ausgesehen haben.

Waren Frauen und Männer in der Wikingerzeit gleichberechtigt?

Die Wikingerzeit gilt häufig als eine Zeit der Freiheit und Gleichberechtigung. Dieses Bild vermitteln nicht zuletzt die altnordischen Sagas aus dem 13. und 14. Jahrhundert, in denen häufig „starke Frauen“ die Handlung bestimmen. Diese literarischen Schriftzeugnisse sind aber eben erst deutlich nach der Wikingerzeit (ca. 8.-11. Jahrhundert) entstanden. Sie zeigen also kein direktes Bild der Wikinger, sondern vielmehr die (Wunsch-)Vorstellung der Menschen im Hochmittelalter von einer heroischen Vergangenheit – von Vikings und Co. in unserer heutigen Zeit ganz zu schweigen.

Die wenigen authentischen Schriftzeugnisse, die aus der Wikingerzeit erhalten sind, finden sich auf den berühmten Runensteinen. Hier begegnen uns eine Reihe von offensichtlich wohlhabenden Frauen, die Steine für verstorbene Ehegatten oder männliche Verwandte stifteten. Gleich zwei Beispiele dafür stehen im Wikinger Museum Haithabu: Die als kleiner und großer Sigtrygg-Stein bezeichneten Gedenksteine wurden im 10. Jahrhundert von der Königin Asfrid errichtet. Sie erinnern an ihren und Gnupas verstorbenen Sohn, König Sigtrygg. Wie auf Runensteinen üblich, nennt sich die Stifterin an prominenter Stelle zuerst – erst danach folgen die Namen von Vater, Sohn, Ehemann und dem Runenritzer. Asfrid war also zweifelsohne eine mächtige Frau, deren Einfluss vielleicht sogar den ihres Mannes überstieg. Doch wie repräsentativ ist eine Königin für die Gleichberechtigung der ‚breiten Masse‘?

Neben solchen Denkmälern der königlichen Elite begegnen uns auf den Runensteinen auch alltäglichere Schicksale von Frauen. Insbesondere aus der späteren Wikingerzeit existiert eine Reihe von Runensteinen, die quasi als Rechtsdokumente das Erbrecht von Witwen belegen. Dies konnte mitunter in hochkomplizierte familiengeschichtliche Abhandlungen ausarten, wie ein Runenstein aus dem schwedischen Hillersjö zeigt. Obwohl das Erbrecht der Witwe offensichtlich nur galt, wenn kein anderer männlicher Verwandter mehr am Leben war, lässt sich aus den Runensteinen dennoch eine relativ große Freiheit und Unabhängigkeit für Witwen ablesen: Sie konnten weitestgehend selbst entscheiden, ob sie erneut heirateten (und in diesem Fall auch, wen sie heirateten), oder ob sie ihren Hof alleine weiter bewirtschafteten. Doch auch hier gilt: Wer es sich leisten konnte, einen Runenstein zu errichten, zählte sicher nicht zur Unterschicht in der wikingerzeitlichen Gesellschaft. Das, was wir aus den Runensteinen ableiten können, wirft nur ein Schlaglicht auf eine kleine, finanziell gut gestellte Gruppe.

Auch das Recht der Frau zur Scheidung gilt häufig als Zeichen ihrer vermeintlichen Gleichberechtigung in der Wikingerzeit. Hier helfen uns die frühen skandinavischen Gesetzestexte aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Dort wird nämlich die Scheidung explizit verboten (weil unchristlich). Dies wiederum interpretieren Historiker aber als Zeichen dafür, dass die Scheidung vorher gängige Praxis war – sonst bräuchte man sie ja nicht zu verbieten.

Was Runensteine und Gräber über die Vergangenheit verraten

Alles in allem geben uns die schriftlichen Quellen also ein unvollständiges und teilweise verzerrtes Bild von der Wikingerzeit. Wie sieht es aber mit den archäologischen Funden aus? Insbesondere die zahlreichen Gräberfunde, die in manchen Fällen eine Fülle von gut erhaltenen Beigaben enthalten, können Aufschluss über die Gesellschaft der Wikingerzeit geben. In vielen wikingerzeitlichen Frauengräbern wurden zum Beispiel Schlüssel gefunden. Von Archäologen wird dies als Symbol für ihre Rolle als Vorsteherin des Haushalts interpretiert, während der Mann die Familie als ‚Hausherr‘ nach außen vertrat. Man kann aber davon ausgehen, dass auch viele Frauen zeitweise die Rolle des (de facto-) Familienoberhauptes übernahmen – nämlich dann, wenn ihre Männer sich auf Raubzug (viking) oder auf Handelsfahrten befanden.

Wie schon bei den Runensteinen lassen sich besonders reiche und einflussreiche Frauen verhältnismäßig gut auch in den archäologischen Funden fassen. Eine ganze Reihe reich ausgestatteter Frauengräber – allen voran das berühmte Schiffsgrab von Oseberg – belegen, dass es Frauen auch in der Wikingerzeit durchaus zu gesellschaftlichem Ansehen bringen konnten. In dem norwegischen Grab aus dem 9. Jahrhundert fanden Archäologen – neben einem der bedeutendsten wikingerzeitlichen Schiffsfunde – gleich zwei, mit üppigen Beigaben ausgestatte Frauenskelette.

Auch das sogenannte Kammergrab 5 aus Haithabu gehört zu den reichsten bekanntesten Frauengräbern der Wikingerzeit. Die darin bestattete Frau war mit überaus wertvollem Schmuck aus Gold und Silber ausgestattet und trug edle Kleidung. Dies und die aufwendige Gestaltung des Grabes weisen sie unzweifelhaft als Angehörige der absoluten Oberschicht aus –  eine der reichsten Frauen von Haithabu. Neben dem Schmuck gehörten auch eine Schere und ein Messer, ein Trinkhorn mit silbernem Beschlag und ein Schlüssel zu ihren Beigaben. Wie oben erwähnt, weisen diese Gegenstände auf ihre Rolle als Hausfrau hin. Ob es sich dabei um symbolische Gaben handelte, die selbstverständlich zum Bild einer ehrenhaften Frau dazugehörten, oder ob die Gegenstände tatsächlich zu Lebzeiten von der Verstorbenen benutzt wurden, bleibt jedoch Spekulation.

Denn Gräber stellen eben kein „Fenster in die Vergangenheit“ dar, durch das sich Lebensumstände und individuelle Schicksale der Wikinger beobachten lassen. Vielmehr sind sie ein „Zerrspiegel“. In ihm sehen wir die Verstorbene nicht wie im realen Leben, sondern so, wie ihre Hinterbliebenen sie im Tod inszeniert und sicher auch idealisiert haben – ganz abgesehen davon, dass die absolute Mehrzahl der Wikingergräber natürlich längst zu Staub zerfallen und somit für uns heute gar nicht mehr fassbar ist. Die prunkvollen Gräber von Oseberg und Haithabu geben also nur punktuelle und noch dazu verzerrte Einblicke in eine absolute Elite, während der Großteil der wikingerzeitlichen Frauen und ihre Lebensumstände für uns im Dunkeln bleiben.

Die beschriebenen Gräber zeigen, dass Frauen in der Wikingerzeit durchaus mit Respekt und sogar Achtung behandelt wurden, dass sie über Reichtümer verfügen und eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen konnten. Auch zeigt sich anhand von Runensteinen und Gesetzestexten eine gewisse rechtliche Unabhängigkeit, die Frauen in anderen Gesellschaften des frühen Mittelalters so sicherlich nicht hatten. Von einer Gleich-Berechtigung im heutigen Sinn kann aber im Skandinavien der Wikingerzeit nicht die Rede sein.

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